Tage wie dieser...

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Andreas
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Tage wie dieser...

Beitragvon Andreas » 12.01.2004 12:37

Es gibt Tage, an denen sollte man nicht das Haus verlassen. Heute ist sicher wieder einmal einer dieser Tage. Wache heute morgen auf und stelle fest, das ich mich einfach nur Elend fühle. Nun brauchte ich aber wenigstens noch ACC Akut für den Husten und neue Eisentabletten brauch ich auch (in Folge der Chemotherapie habe ich noch einen starken Ferretinverlust). Also aus dem Bett gequält, unter die Dusche gegangen und fertig gemacht. Auf zur nächsten Apotheke. Diese Bot mir auch gleich mal Kundenmitgliedschaft an, weil ich ja ein guter Stammgast bin. Nuja warum nicht, muss ich wenigstens keine Quittungen mit mir herumschleppen. Da ich dann plante den weiteren Tag im Bett zu verbringen, wollte ich mir noch ein paar Zeitschriften kaufen, damit ich vor Langeweile nicht ins Koma falle. Den nächsten Zeitschriftenführenden Laden aufgesucht und hinein. Und was entdeckt man an der Kasse: eine ehemalige Mitschülerin aus der Grundschule. Verbissen wie eh und je vom Leben, macht gerade zweite Lehre und ist total unzufrieden mit sich. Wir kommen also ins Gespräch. Ich frag so, ob sie hier arbeitet (eigentlich logisch, oder? Aber erstmal Smalltalk anfangen). Sie erwidert, dass es ihre zweite Lehre ist und sie eigentlich überhaupt keinen Bock hat. Sie fragt mich darauf, ob ich jetzt nicht mit dem Abi fertig sein müsste. Ich erklär ihr so, das ich den Krebs bekommen habe, genau zu den Prüfungen und das demnächst nachhole, wenn die Prüfungsaufgaben fertig sind. Und sie sagt so: ?Ja, das hat mir Christine erzählt (Freundin von uns beiden). Krebs ist schon böse, mein Vater ist auch daran gestorben.? Omg, ich meine, wieso muss mir jeder auf die Nase binden das er Angehörige durch Krebs verliert? So was ist erstens nicht gerade positiv, zweitens bin ich nicht ihr Psychologe. Aber damit hab ich noch nicht mal so das Problem. Man darf für viele Menschen den Onkel spielen, bei denen sie sich ausheulen dürfen und sich Mut holen dürfen. Dafür hat man ja schließlich einmal Krebs gehabt, oder? ;)

Aber weil ich gerade am Fragen war, interessierte mich ja schon, was er für einen hatte. Und sie sagt so ganz kühl: ?Lymphdrüsenkrebs?. *Schluck* Das ist der mir erste bekannte Fall, warum jemand am Hodgkin gestorben ist. Ich frag auch wegen NHL, aber sie versucht mir zu erklären, das es das war, was ich wohl habe. Auch wenn ich nicht glaube, das sie den Unterschied kapiert hat. Jedenfalls fängt sie an zu erzählen, was ich hier einfach einmal zusammenfassen werde.

Bei ihrem Vater wurde der Hodgkin sehr spät erkannt. Ich dachte mir so, bei mir ja auch? Des weiterem war mal ?über den Berg?. Das machte mich dann stutzig, weil ich ja im Prinzip auch über den Berg bin. Ich lenke ein und frage ob er in Remission war. Und sie stutzt wieder: Ja, er war kurzzeitig von Beatmungsmaschinen und künstlicher Ernährung weg. Da machte es klick. Ich erklärte ihr dann, das es bei mir nicht so war und im Moment auch nichts nachweisbar ist. Sie verstand es sicherlich nicht und ich sagte tut mir leid. Sie schaute Mitleidig, nach dem Motto: ich weiß was auf die zukommt. Zum Glück kommt in diesem Moment ihre Chefin und ich kann abhauen.

Eigentlich ja kein Problem, aber genau die Momente sind es, die mich immer wieder an den Boden werfen, zwecks Rezidiv und die langfristigen Aussagen. Ich muss mich dann immer von Tag zu Tag hochschieben. Meine Beziehung ist deswegen in die Brüche gegangen und es ist mühsam, überhaupt irgendwas zu schaffen.
Und wo ich heute mal überhaupt keinen Hunger habe (ich denke mal wegen der Grippe), hab ich auch schon wieder Angst, weil ich sonst gerne und viel esse und als ich dieses Gefühl das letzte Mal hatte, kam wenig später die Diagnose.

Seelenstriptease beendet, ich musste mich nur einmal aussprechen und es ist entweder keiner mehr da oder die Leute kommen eher mit ihren Problemen und wollen meine gar nicht hören.

Anni
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Truebe Tage

Beitragvon Anni » 12.01.2004 14:53

Hallo Andreas.
Wer kennt sie nicht die trueben Tage, wenn sich die Angst wieder anschleicht. Hatte mal ein ( meiner bescheidenen Meinung) sehr gutes Gedicht darueber geschrieben, das ich leider in " besseren" Tagen wieder zerrissen habe.
Uebrigens ist da heute im Krebskompass ( Lymphome) unter der Rubrik " Chemoschaeden -Tine ,eine sehr gute Diskussion, bezueglich des Themas " Leben NACH dem Krebs. Sehr gut, schaut mal alle rein und vielleicht hast Du auch was beizutragen.
Viele Gruesse aus USA
Anni

Chris

Beitragvon Chris » 12.01.2004 17:57

Hallo Andreas,

ich kann dich so gut verstehen das ich schon wieder leicht grinsen mußte als ich das gelesen habe, war mir so bekannt.

Seit sich das ein wenig rumspricht mit mir bekomme ich auch ständig wohlgemeinte "Besuche" ( die ich am liebsten wieder rausschmeissen würde :-D) und seit dem weiß ich erst wieviele in meinem Ort an Krebs gestorben sind, weiß nur noch nicht wieviele MH hatten und es geschafft haben, über soetwas lästert man anscheinend weniger.

Heute hatte ich Therapie und es geht mir grad bescheiden, schade das jetzt niemand "gutgemeint" vorbeikommt, hätte grad einiges auf Lager, wobei mein Mageninhalt ( frag mich wo der herkommt) der kleinste Teil ist.

Aber an Rezidive muß man denken und man kann sie nicht vertreiben, denke es geht allen so.
ZU sagen es kommt schon nichts mehr wird wohl nicht reichen, dran Glauben, das muß man. Trotzdem kann man die Angst davor nicht verdrängen und die lieben Nachbarn und "Bekannte" sorgen da auch schon dafür.

Aber denk an die verdammte Statistik die besagt es kommt selten vor und es geht scho weiter.

Denk auch daran das du es geschafft hast ...und ich bewundere jeden der so weit ist wie du wenn es rezidive gibt, kann es keiner ändern, sie sind da. Du kannst das Leben jetzt intensiver genießen, du kannst dich eher am Leben freuen, aber was in deiner Zukunft liegt kann keiner sagen und irgendwie ist das gut so( auch wenn ich gerne wissen würde was in einem halben Jahr ist und ob ich dann in Vollremission bin)
aber wenn wir wüßten was irgendwann einmal ist dann würden wir heute schon darauf hinarbeiten und das ist nicht gut, wer will schon wissen das er in 1 oder 3 Jahren Krebs hat????

Jetzt hab ich mich dir angeschlossen und einfach mal drauf los gelabert.
Aber ich denke zu deinem Thema können hier wirklich alle ein Lied dazu singen, ob man schon in Vollremission ist oder noch mitten inner Therapie

Ich wünsch dir gute Besserung, Grippe ist immer ekelhaft und Männer leiden da immer sehr :-D
Trink Orangensaft is gut gegen Grippe und fürs Eisen ;-) und zieh die Decke übern Kopp, das ist gut für die Seele.

Liebe Grüße Chris

Achja, wenn man sich mit jemand über Rezidive unterhaltet und es einem eh scho elend geht, dann bleibt auch der Appetit weg, morgen ist er wieder da, ich bin mir sicher.

stufer
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Beitragvon stufer » 17.01.2004 00:11

Zum Teufel mit solchen Idioten, die einen so runterziehen.
Ich lass solche Leute, die mir so'n bla bla erzählen einfach stehen.
Habe allerdings grosses, grosses Glück mit meiner family und meinen ganzen Freunden und Bekannten gehabt.
Also nun positives input. Selbst jetzt seit 18 Monate ohne Befunde und richtig gut drauf.
Und ein kleiner Tip von mir:
Jeden morgen 2 Orangen und eine Zitrone gepresst, plus 2* die Woche in die Sauna. Ich hab seit Ewigkeiten keine Erkältung mehr gehabt.
Kopf hoch, Brust raus
Stufer

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Cocolady
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Beitragvon Cocolady » 17.01.2004 13:03

Hallo ihr Lieben!

Ja, davon kann wohl jeder ein Liedchen singen...

Genau solche Gedanken wie ihr habe ich auch seit einigen Tagen, aber sie haben sich schon wieder etwas beruhigt.

Am Mittwoch habe ich mich irgendwie unwohl in meiner Haut gefühlt, hatte leichte Kopfschmerzen und (was mich fast aus dem Häuschen gebracht hätte) Husten. Bei mir kam sofort wieder die Zeit vor meiner Diagnose hoch... da hatte ich doch wochenlang diesem sch*** Husten, sodass ich mir fast die Lunge heraus "gebellt" hätte. Naja, Abends hat dann auch meine Nase angefangen dicht zu werden und ich hab mich so nach Grippe gefühlt. Toll dachte ich, vor 5 Tagen wurdest du Grippe geimpft (der Schutz wirkt ja immer erst nach 10 Tagen) und du hast JETZT eine Grippe. Und meine Ärtze haben mir gesagt, ich sollte jetzt am besten KEINE Grippe oder Infekt bekommen, da mein Immunsythem immernoch mit Lymphie beschäftigt ist. Wenn ich mit jetzt etwas fange, dann ist es abgelenkt...
Seitdem denke ich sehr oft daran, ob es wohl Anzeichen eines Rezidives sein könnten, der Husten, die Müdigkeit, das Unwohlsein...
Naja, mittlerweile weichen mir Taschentücher, Nasenspray, Schal und Erkältungstee nicht mehr von der Seite! Es ist wohl DOCH nur bei einer Erkätung geblieben, aber die Gedanken eines Rezidiven wollen trotzdem nicht von mir weichen!!

Übrigens, seit dem ich MH habe, höre ich von allen Seiten: Ja, ich kenne auch jemaden mit MH und der oder die hatte das auch vor 10 Jahren usw... Und mein Vater hat seitdem auch bei 2 Leuten in seiner Praxis MH festgestellt! Aber Gott sei Dank sind alle, von denen ich (über umwege) weiss noch am Leben!

So, ich musste auch einfach mal drauflos schreiben...

LG Corinna

Lydia
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Beitragvon Lydia » 17.01.2004 20:05

Jetzt wo ich am Dienstag meinen 2. Kontrolltermin im Krankenhaus habe, schleichen sich auch bei mir wieder Ängste und traurige Erinnerungen( an meine Chemozeit) ein......
und meine lieben Freunde und Bekannten sind mir dabei auch keine große Hilfe...so Sachen wie "du bekommst doch eh keinen Rückfall" oder "du mußt positiv denken" bringen mich gelinde gesagt auf die Palme..
Warum darf man nicht mal traurig bzw. niedergeschlagen sein? Warum muß man seinen Angehörigen gegenüber immer stark und tapfer sein bzw. warum wird es von der Gesellschaft so erwartet?
Es wundert mich manchmal echt wie die Gesellschaft mit der Diagnose Krebs im Allgemeinen umgeht.......

Ich weiß nicht wie es Euch so geht, aber ich schaff es einfach nicht,so weiter zu leben wie vor der Diagnose( so als ob ichts gewesen wäre)
Vor der Erkrankung war ich irgendwie offener und extrovertierter, bin gerne weggegangen und hab halt einen draufgemacht...jetzt bin ich lieber zu Hause, mache mit sehr lieben Freunden Spieleabende etc...
Ich denke auch, daß ich Fremden( z.B. neuen Arbeitskollegen) gegenüber "schüchterner" geworden bin...ich denke ich bin einfach viel nachdenklicher und sensibler geworden.... :roll: .....

So jetzt hab ich auch mein Herz ein bissi ausgeschüttet und fühl mich auch ein wenig erleichtert :wink:

Ach ja was positives zum Schluß: Ein Arbeitskollege von meinem Vater, 65 Jahre alt- ist jetzt in Pension gegangen und der hat bei der Abschiedsfeier erzählt, daß er vor 30 Jahren :!: :!: mal ein Hodgkin Lymphom Stadium 4 gehabt hat....die Ärzte hatten ihn schon aufgegeben...er hat trotzdem eine Chemo gemacht ....und wurde gesund.
Er har dann noch erzählt, daß es der härteste Kampf seines Lebens war und er auch schon kurz vorm Aufgeben war......rückblickend aber möchte er diese Zeit nicht missen...durch diese Erfahrung hat er erst das Leben so richtig genießen können und Gefühle und Emotionen so richtig ausleben können....
Alles Schlechte hat auch sein Gutes..............
In diesem Sinne Eure Lydia

doro
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Was könnte helfen?

Beitragvon doro » 17.01.2004 21:45

Ihr kennt ja wahrscheinlich das Buch von Zorn "Mars"?

Der ist ja jung an Krebs gestorben, aber nicht MH. Und der hat in Aufsehen erregender Weise beschrieben, wie die Zeit seiner Erkrankung fast zu seiner glücklichsten Zeit in seinem total unglücklich verlaufenen Leben war, weil er sich seiner selbst bewußt wurde.

Im Fall von MH ist die Heilungschance glücklicherweise groß. Doch die Anstrenung ist auch nicht gerade beneidenswert.

Ich dachte heute, ich fürchte mich vor der Steuererklärung. Wie läppich gegen die Aussicht meiner Tochter, sich auf 8 Zyklen a 22 Tagen eine spezielle Beacopp-Behandlung vor sich zu haben.

Da würde sie lieber 3 Steuererklärungen machen.

Wie kann man sich bloß in einer solchen Situation Glücksinseln schaffen oder erhalten?

Irgend einen Sinn muß doch das Ganze auch haben?

Schwer, sich einer solchen Frage zu stellen.

Was die sogenannten anderen Leute anbelangt, so denke ich, man muß ihnen wohl sagen, was ein bißchen helfen könnte. Sie können es einfach nicht wissen.

Man muß sie wahrscheinlich gleich stoppen, wenn sie von Todesfällen berichten wollen. Ich fürchte, man muß die Kraft aufbringen, mitzuteilen, daß das nur runter zieht.
Doro

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Norbert
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Beitragvon Norbert » 18.01.2004 20:54

Hallo Andreas,
ich hoffe ich schreibe hier im richtigen Feld und Du hast diese Zeilen als Antwort unter deinem.
Ab und zu bin ich hier auf der Hodgkin Seite, vielleicht gerade wenn man so "Tage wie dieser hat". Zu Ostern ist meine Diagnose MH 2 Jahre her, und trotzdem habe ich identische Momente wie hier schon einige geschrieben haben. Interessant ist ja immer wie das Umfeld wie Familie, Freunde und Kollegen reagiert. Bei mir ist es in der Familie flau, gute Freunde topp, und in der Arbeit auch o.k. Bin seit Dez. 2002 wieder voll arbeiten. Jedenfalls ist die neueste Reaktion meines Umfeldes, entferntere Freunde und Bekannte, nach dem meine Beziehung damals in die Brüche gegangen ist, ob ich nicht AIDS anstatt Krebs hätte. Warscheinlich ist es heute noch nicht normal, wenn man nach 8 Monaten "Pause" wieder im normalen Leben auftaucht. Ich hätte mir nicht denken können, das ich mich nahezu rechtfertigen muss, das ich wieder fit bin. Es ist schade, das man so selten die Gelegenheit hat, Verständnis zu bekommen, wenn man sich freut noch da zu sein. Die Freude kann auch sehr sentimental sein.
Jedenfalls hilft mir diese Seite hier vom Axel in solchen Momenten ...
Also, an alle, toi toi toi und Kopf hoch, oder Decke drüber ziehen ...
Liebe Grüsse
Norbert

doro
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Entwicklung - Neue Beziehungen

Beitragvon doro » 18.01.2004 21:34

Ich glaube, wir müssen uns im Klaren sein, dass die eigene Entwicklung fast immer dazu führt, dass ein Teil der alten Beziehungen in die Brüche geht.

Sagen wir mal so: Ein Helfersyndrom zieht ganz bestimmte Leute an. Entschließt man sich zur Aufgabe dieses Sydroms, bleiben plötzlich die ganzen Schmarotzer weg.

Die Erfahrung, an MH zu erkranken, möchte man sicherlich gern missen. Dennoch ist es eine Erfahrung, die Entwicklung ermöglicht. Und das zieht neue Beziehungen nach sich.

Das ist jedenfalls meine Meinung im Augenblick. Vielleicht ändere ich diese Meinung auch noch!
Doro


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