Hallo lila, Peter und Marion,
ich hatte vor 26 Jahren im Alter von 19 Jahren MH IA, habe 44 Gy Bestrahlung Extended Field (Hals vorn, Axillen + Mediastinum vorn und hinten) erhalten, nach 30 Gy wurde mit Bleiblöcken Rückenmark abgedeckt - Herz leider nicht.
Ich schreibe jetzt etwas in den nachfolgenden Absätzen, was ich vor dem Hintergrund meiner 26 Jahre zurückliegenden Behandlung erfahren habe. Dazu möchte ich anmerken, dass die neusten Behandlungsmethoden auf jeden Fall nicht so aggressiv sind wie die vor 20-30 oder gar 40 Jahren. Daher trifft Einiges bestimmt nicht auf jeden von Euch zu, geratet also nicht in Panik, sondern filtert das für Euch zutreffende heraus.
Vor einem Jahr ging ich mit einem Infekt zum Hausarzt, der wegen meines hohen Blutdrucks ganz außer sich geriet - ich habe eigentlich zu niedrigen - und stellte nebenbei eine Schilddrüsen-Unterfunktion fest, die mir 20 KG Übergewicht brachte. Wohlgemerkt: ER versäumte die Überprüfung der Schilddrüsenwerte. Wegen des Bluthochdrucks überwies er mich an einen Kardiologen, der eine Kernspintomografie der Nierenarterien anordnete, auf die Frage: »Warum?«, antwortete der Kardiologe, er wolle mal sehen, ob die Nieren beide gleich groß seien - was mich stutzig machte, denn dies könnte man ja auch bei einem Ultraschall feststellen - warum also eine Kernspin?
Googeln brachte mir schnell die Antwort: Stenosen, Verkalkungen etc., alle möglichen unspezifischen Veränderungen des Herz- & Kreislaufsystems sind Spätfolgen von Bestrahlungen und Chemotherapie. Auch meine Schilddrüsenunterfunktion ist eine Spätfolge und die leicht zurückgebildeten Muskeln und das fehlende Fettgewebe und die grauen Schatten auf meinen Lungen im Bestrahlungsfeld etc. Das Risiko, als Spätfolge an Brustkrebs zu erkranken nimmt mit jedem Überlebensjahrzehnt um 10% zu etc.
Die Erkenntnis, dass ich zwar vom MH geheilt bin, sich dafür aber die ersten Spätfolgen einstellen ins Mark. Aber das Schlimmste war, dass weder der Hausarzt (den ich inzwischen gewechselt habe) noch der Kardiologe bereit waren, auf das Thema »Spätfolgen« einzugehen. In Hamburg ist das Thema völlig unterbelichtet, obwohl ich ausgerechnet habe, dass es hier über 100.000 Überlebende geben muss. Studien erforschen nur die ersten 5 Jahre, um die Therapien zu optimieren, aber mit der dunklen Seite der Heilung, nämlich den Spätfolgen mag sich hier scheinbar niemand gern beschäftigen.
Anders Herr Prof. Schellong aus Münster, der als Kinderonkologe dieses Thema nicht vernachlässigt hat, in meiner Verzweiflung habe ich mich an ihn gewendet, um als Unterstützung eine Experten-Empfehlung für meinen Ärzte-Marathon in der Hand zu haben.
Allgemein lässt sich sagen:
- je früher und aggressiver die Behandlung, umso höher das Risiko einer Erkrankung bzw. Beeinträchtigung durch Spätfolgen,
- je besser man die Behandlung verträgt und je später sich die Spätfolgen bemerkbar machen, umso besser die Aussichten,
- je früher man entsprechende Präventionen etc. ergreift UMSO BESSER!
Beim letzten Punkt sitzt in Deutschland der Hase im Pfeffer: In den USA gibt es mittlerweile zig Survivor-Center, die sich auf die spezifischen Erkrankungen von Langzeitüberlebende spezialisiert haben. Man geht dort zur Untersuchung und erhält einen Care-Plan, einen Vorsorge-Plan, mit dem man zum Hausarzt und zu den Fachärzten geht, damit sie ein Geländer zur weiteren Betreuung, Untersuchung und Behandlung ihrer Patienten haben.
In Deutschland gibt es leider keine Survivor-Center -
Ärzte sind auch Menschen. Und wer kann es schon ertragen, einem anderen Menschen bewusst seine Gesundheit zu nehmen, seine Lebenszeit zu verkürzen etc. Insbesondere, wenn dieser Mensch womöglich ein Kind ist? Dieser Verdrängungs-Mechanismus führt dazu, dass die meisten Ärzte wohl wirklich glauben, dass die Krebs-Behandlungen keine (Spät)folgen hätten. Ich kann nur jedem empfehlen, sich gut zu informieren, den letztlich gilt für dieses Thema: wenn Du Dir selbst nicht hilfst, hilft Dir niemand:
- Lasst Euch niemals abwimmeln!
- Wenn Ihr das Gefühl habt, dass etwas nicht stimmt, nervt die Ärzte solange, bis Ihr der Sache auf den Grund gegangen seid!
- Holt Euch immer noch einmal von anderen Fachärzten eine Empfehlung ein und
- macht Euch selbst auf den Weg und informiert Euch:
LT-SURVIVOR Mailingliste
Hochqualifizierte Mailingliste mit bis zu 40+ Überlebende (meist Hodgkin, was immer man für Probleme oder Fragen hat - hier findet man die Antworten (allerdings nur in engl. Sprache, wie alle anderen auch):
http://www.acor.org/
-> mailingslists -> Long Term Survivorship -> L -> LT-SURVIVOR
484 Mailinglist-Subscriber
20+ Überlebende Forum
Austausch von Langzeitüberlebenden (engl.):
http://www.cancercompass.com/message-bo ... 6880,3.htm
Für Lila etc.:
Spätfolgen am Herzen (engl.)
http://www.acor.org/ped-onc/survivors/cardio.html
Richtlinie zur Langzeit-Vorsorge
Nach Krebserkrankungen im Kindesalter - gilt jedoch fast uneingeschränkt - nur abgemildert - auch für Erwachsene (engl.):
http://www.survivorshipguidelines.org/
Da all diese Seiten in englischer Sprache verfasst sind, wäre ich sofort dabei, mitzuhelfen, sie auch dem deutschsprachigen Raum zur Verfügung zu stellen!
Zu meinen Spätfolgen: Am Herzen habe ich leichte Veränderungen (leichte Stenose linker Ventrikel, leichte Herzwandveränderungen, leichte Herzklappenstenose) und ich muss aufpasssen, mich nicht zu überlasten, das bekommt mir absolut nicht, daher achte ich darauf, dass ich bei guter Kondition bleibe (Radfahren + Schwimmen). Ich habe eine unspezifische Anfälligkeit für Husten, den ich mit Salzwasser-Inhalation und bewusst tiefer Atmung in den Griff kriege. Und ich arbeite mich langsam durch den Survivorplan - wenn ich mich gerade stark genug fühle.
Wenn man die LT-SUVIVOR Mailings verfolgt, wird einem ganz schwindelig wegen der möglichen Spätfolgen und ich bin erstmal richtig deprimiert geworden - also: Vorsicht! Letztlich muss man gar nicht immer alles ganz genau wissen. Das Thema »Lungenkrebs« habe ich z.B. für mich abgehakt, da die Vorsorgeuntersuchungen (CT) auch Strahlungsbelastung bedeuten und die Heilungschancen eh verschwindend gering ist. Bei der LT-SUVIVOR-Liste gibt es auch Menschen, die schon 48 (!) Jahre überlebt haben und die heftigsten Behandlungen hinter sich haben, das macht wieder Mut! Letztlich haben uns die Behandlungen doch auch davor bewahrt, noch viel früher zu sterben. Insofern sehe ich es als »Preis« meines Überlebens an: ich lebe und genieße mein Leben mit meinen beiden Kindern und meinem Mann!
Außerdem habe ich inzwischen über 10 Kg abgenommen, meine Schilddrüsen-Werte sind dank Tabletten wieder optimal und mittlerweile ist mein Blutdruck dank homöopathischer Behandlung (1. Bestrahlung-Ausleitung, 2. Typmittel) auch absolut OK. Ich erlerne gerade die »Alexander-Technik«, die sich positiv auf den bestrahlungsinduzierten Muskelabbau auswirken soll (RFS: Radiation Fibrosis Syndrome).
Lasst es Euch gut gehen und die Sonne in Euren Herzen scheinen!
Herzliche Grüße
Yvonne