meine Chemotherapie ist nun seit ein paar Tagen beendet. Eigentlich sollte ich Bäume ausreisen und Freudentänze veranstalten... Dem ist nicht so.
Mich beschäftigen plötzlich Dinge, über die ich noch nie so wirklich nachgedacht habe. Ich war zwar schon immer ein nachdenklicher Mensch, habe jegliche Sachen hinterfragt, aber solche Selbstzweifel wie jetzt hatte ich noch nie. Und was mich daran am meisten Belastet ist die Frage, sind das alles normale Selbstzweifel und Gedanken, die eine Chemo mit sich bringen (man liest ja des öfteren, dass sich Menschen durch eine Chemo verändern) oder ist es meine neue "Ausrede" für alles, was auch schon vor der Chemo dagewesen ist?
Da verstricken sich wieder Gedanken in Gedanken in Gedanken. Kennt ihr das, wenn man in einem Traum, träumt aufzuwachen obwohl man noch träumt... Der eine Gedanke ist noch nicht fertig gedacht schon kommt der nächste.
Zurück zum Thema:
Nach der Diagnose hatte ich ein Ziel: Gesund werden um jeden preis, den alten Charakter beizubehalten, sich nicht zu verändern, stark sein -für sich selbst und für andere, sich nicht unterkriegen lassen, keine Trauer, kein Selbstmitleid, kein Mitleid von Anderen zulassen, den Krebs um keinen Preis das Leben bestimmen lassen, normal sein in jeder Situation, sich nichts eingestehen, Schmerzen nicht wahrnehmen um Dinge zu machen -die einen "normal" sein lassen, die innere Stimme (Psyche) quasie überspielen.
Ich habe vor der Therapie und während der Therapie immer wieder gesagt, dass ich nicht schwach sein will, dass ich die Alte bleiben werde, komme was wolle, ich werde nicht auf der Couch vergammeln, ich werde aktiv sein, wollte sogar arbeiten gehen.... am Anfang...und jetzt? Was ist jetzt aus den Vorsätzen geworden?
-Oder war ich von Anfang an etwa schon kein starker Mensch und wollte mit der Therapie "mein Leben endlich mal verändern" quasi nicht die "Alte bleiben" sondern jemand "Starkes" werden?-
Ich habe versucht eine Rolle zu spielen, die Rolle der Gesunden. In den ersten Wochen hat sich mein gesamter Körper und die Psyche auch noch gut "verarschen" lassen, er hat die Rolle geglaubt und hat mitgespielt.
Die ersten zwei Zyklen hatte ich kaum Nebenwirkungen. Die letzten zwei Zyklen wurden dann von Mal zu Mal körperlich schlimmer. (Übelkeit, Müdigkeit lag fast nur noch im Bett). und jetzt nach der Therapie geht es mir körperlich gut, aber die Psyche fängt an.
Die ganzen zurückgestellten Emotionen, Ängste, Eindrücke.... kommen solangsam ans Licht. Die Therapie über habe ich sämtliche Probleme ausgeblendet, vorallem die alltäglichen Probleme (Beziehung, Beruf etc.).
Mir ist klar, dass die Psyche und die körperliche Fitness unter einer Chemo leiden, aber was ist wirklich von der Chemo und was schiebe ich einfach nur auf die Chemo?
Ich bin tierisch reizbar, gehe wegen der kleinsten Mücke an die Decke und verletze die Menschen damit, die ich doch eigentlich am meisten Liebe. Andererseits war ich auch schon früher temperamentvoller als andere.
Ich habe das Gefühl, dass ich nichts mehr wirklich zuende bringe, bin an manchen Tagen für alles zu faul, zweifle an mir selbst etc.
Ich zwinge mich jeden Tag zumindest etwas kleines zu "schaffen" sei es putzen, ein kleiner Spaziergang, Wäsche waschen... wenigstens irgendetwas selbst zu bestimmen. Aber diese Dinge sind mir einfach ZU klein.
-Was ist das schon! Diese kleinen Dinge habe ich früher nebenher erledigt, nach dem ich den ganzen Tag arbeiten war. Am Wochenende war ich dann sogar noch Party machen ohne müde zu werden.-
Und jetzt? Jetzt sind mir drei Treppenstufen zu viel, an einem Stück die Wohnung putzen ist ein Marathon, manche (schon vorher ungeliebten) Aufgaben bleiben komplett liegen...
-Erwarte ich zu viel von mir?-Ich wollte schon immer von 0 auf 100 in 2 Sekunden, hatte noch nie Geduld und wenn ich etwas will, dann SOFORT.
-Allerdings war ich auch schon immer einfallsreich wenn es um Ausreden ging und hab mich damit um alles Mögliche gekonnt gedrückt: Bin ich schon immer so ein furchtbar fauler, unmotivierter, unkonzentrierter, unstrebsamer, schnell reizbarer Mensch -und meine willkommene "Ausrede" ist dieses Mal einfach die Krankheit?
Die plötzlich auftretenden Emotionen und Gedanken über die Chemo, sowie das Auseinanderhalten zwischen chemobedingtem Leistungsabfall und "schon immer dagewesener" Ziellosigkeit machen mich fertig.
Vielleicht wird mir auch einfach bewusst, dass ich den Krebs als Chance nutzen soll, dass zu ändern, was ich in meinem Leben (bewusst und unbewusst) schon immer falsch gemacht/gehasst habe.
Es ist ein einziges Chaos in meinem Kopf, aber was davon spiele ich mir vor und was ist chemobedingt und geht "von alleine" wieder weg?
Ich bin nun seit 4 ewigen Monaten Zuhause, habe mir (siehe oben) versucht in den A*** zu treten, aber irgendwie doch nichts erreicht. 4 Monate nicht arbeiten - ich hätte mir ein Instrument erlernen können, mein Englisch auffrischen können, arbeiten erledigen können, die man immer so vor sich hingeschoben hat und und und. und was mache ich? Ich mache ein bisschen Haushalt...
Jetzt bin ich fertig mit der Chemo und kriege meinen Hintern noch immer nicht hoch. Was ist noch normal und was ist einfach nur Faulheit? Ich fühle mich mittlerweile wie ein "Schmarotzer" kriege Geld von der Krankenkasse fürs nix tun

LG