Habt ihr euer Leben geändert?

Hier kann nach Herzenslust geklönt werden. Alles, was nicht unbedingt mit Morbus Hodgkin zu tun hat, gehört hier rein.
Rachy
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Habt ihr euer Leben geändert?

Beitragvon Rachy » 16.06.2020 14:10

Hallo zusammen,

während der Therapie habe ich mir immer gedacht, wenn ich wieder gesund bin, dann... und da ging es nicht nur um "einfache Dinge", wie mich gesünder ernähren und so, sondern zum Beispiel den Job kündigen, woanders nochmal ganz neu anfangen usw. Irgendwie sollte alles "sinnvoller" werden und ich habe immer gedacht, vielleicht ist diese Krankheit ja dazu da, nachzudenken...ob ich das Leben habe, das ich haben möchte.
Jetzt bin ich seit März fertig mit der Chemotherapie und den Bestrahlungen, arbeite noch nicht wieder und Corona-bedingt verzögert sich das sowieso alles, aber irgendwie habe ich das Gefühl, ich rutsche wieder in den alten Trott rein, mache Homeschooling mit meinen Kindern und bin froh über den Schwerbehindertenausweis und meine Zugehörigkeit im Betriebsrat, weil mich das beides vor einer Kündigung schützt und jetzt wohl auch bei uns im Unternehmen leider einige gehen müssen. Ja, jetzt will ich auf einmal gar nicht mehr kündigen und auch nicht gekündigt werden. :wink2:
Irgendwie suche ich nach dem "Sinn" der Krankheit und denke mir, wenn ich gar nichts ändere, was sollte das dann?
Ging/geht es noch jemandem so? Habt ihr euer Leben geändert, als ihr wieder gesund wart?
Im Grunde ist das natürlich alles nicht so wichtig wie gesund bleiben und ich merke auch, dass ich viele Dinge jetzt mehr schätze und dankbarer für sie bin, aber sowas geht mir trotzdem öfter durch den Kopf. :wink2:

Liebe Grüße an alle und an die, die noch mittendrin stecken: Ihr schafft das! :blumen:

Rachy
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Oktober 2019 bis Januar 2020:
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Jean
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Re: Habt ihr euer Leben geändert?

Beitragvon Jean » 17.06.2020 07:46

Für mich bestand die größte Änderung nach meiner langen Krankheitspause (32 Monate) darin, die Dinge gelassener zu sehen. Ich wollte auch mehr Freizeit haben und nicht den ganzen Tag im Büro verbringen. Deshalb habe ich meine Wochenarbeitszeit zuerst auf 20 Stunden reduziert, anfangs noch mit der Option, langsam wieder zur Vollzeit zurückzukehren. Bei 25 Wochenstunden habe ich dann beschlossen, dass das reicht, und bin dabei geblieben. Zusätzlich habe ich noch die erste Gelegenheit ergriffen, in Altersteilzeit zu gehen, und vor etwas mehr als einem Jahr bin ich dann mit 59 in die passive Phase der Altersteilzeit eingetreten - und bin sehr froh darüber, vor allem jetzt in Corona-Zeiten. Die ATZ hätte ich wahrscheinlich ohne den Schwerbehindertenstatus mit Grad 100 nicht bekommen, dieser ermöglicht natürlich auch die vorgezogene Rente, die mit Abschlägen im März 21 beginnt.

Die oben erwähnte Gelassenheit hat mit der Zeit zwar etwas nachgelassen, aber ich denke, die Krankheit hat doch insgesamt dazu geführt, dass ich das Leben mehr zu schätzen weiß.
mein Blog: https://isv20.wordpress.com

2001 diffus großzelliges Non-Hodgkin-Lymphom: 3 CHOP + Bestrahlungen
2003 Marginalzonenlymphom: Wait and Watch
2012 Morbus Hodgkin, nodulär-sklerosierender Typ, Stadium IIB:
ABVD (4 Zyklen, d.h. 8 mal)
PET-CT: refraktäre LK
2 DHAP, 2 IGEV, HD-BEAM mit autologer SZT
komplette Remission Dez. 2012
Reha in Oberstaufen Jan. 2013
2013 Rezidiv des MH von 2012
04/13: Bestrahlungen 15*2Gy
ab 05/13: 4 Brentuximab
ab 07/13: HD-FBM + allogene SZT
10/13-01/14: EBV, Lungenentzündung, Reha
02/14: komplette Remission
GdB 100, von 11.2012 bis 07.2015 Erwerbsminderungsrente
seitdem: es geht mir gut!
2018: Ende der regelmäßigen Nachsorgeuntersuchungen

Jules0905
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Re: Habt ihr euer Leben geändert?

Beitragvon Jules0905 » 18.06.2020 09:27

Hey,

ja ich verstehe auch was du meinst. Ich hatte mir auch einiges vorgenommen unter anderem gesünder zu essen etc. So ganz ist es mir noch nicht gelungen aber ich gebe nicht auf. Die Gedanken kommen mir auch des Öfteren...
Ich wollte mich auch in irgendeiner Form engagieren, da ich bspw. auch ein Schminkseminar besucht habe. Irgendetwas machen, aber irgendwie fehlt mir dazu die Kraft und wenn ich dann die andern sehe die sich engagieren bewundere ich sie dafür.
Ich muss auch sagen dass ich den Moment auch öfter genieße. Bspw. Sonnenauf- oder Untergänge oder einfach die Kleinren Sachen mehr zu schätzen weiß. Aber zwischendurch verliere ich das auch mal aus den Augen, was eigentlich schade ist. Ich bewundere auch die anderen die von Grund auf ihr Leben verändert haben...
Ich versuche so gut es geht die Zeit mit meiner Tochter zu verbringen, aber manchmal bin ich dafür einfach zu kaputt und dann tut es mir extrem leid :undecided:
Was ich allerdings zumindest ein Stück weit geschafft habe, war im letzten Jahr und auch noch Anfang diesen Jahres Sport zu treiben und heute fängt auch wieder ein neuer Kurs an. Ich schaffe es allerdings nicht mich alleine aufzuraffen :think2:
Mir kommen auch öfters die Gedanken "Julia, du hattest jetzt diese schwere Erkrankung aber so richtig etwas daraus gemacht hast du nicht :nono: :think2: :? ... Aber dann denke ich darüber nach was ich doch zumindest ein wenig verändert habe und das stimmt mich dann doch ein bisschen positiv :-)...

LG

Rachy
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Re: Habt ihr euer Leben geändert?

Beitragvon Rachy » 18.06.2020 22:12

Hallo :)
Danke euch für die Antworten!
Das ist doch schon mal schön, dass wir gelassener geworden sind und "kleine" Dinge mehr zu schätzen wissen. Mir geht es auf jeden Fall auch so. Bei mir ist das ganze ja noch nicht sooo lange her und ich genieße das sehr, wieder mehr Kraft zu haben und einfach jeden Tag fit genug zu sein, mit meinem Hund spazieren zu gehen.
Mir geht es auch so wie dir, Jean, dass ich nicht mehr einen so großen Teil meines Lebens mit meiner Arbeit verbringen möchte. Grundsätzlich macht sie mir ja schon Spaß, aber es ist auch sehr stressig und ich hatte aufgrund von Abend- und Wochendterminen nur sehr wenig Zeit für meine Kinder, habe sie oft nur morgens gesehen und es abends oft gerade noch geschafft, Gute Nacht zu sagen.
Was ist jetzt sehr zu schätzen weiß, ist, dass wir viel Zeit miteinander verbringen. Allerdings bin ich manchmal auch einfach noch ziemlich kaputt und kann dann doch nicht immer so für sie da sein, wie ich will. Ich habe dann manchmal auch ein schlechtes Gewissen, kann das deswegen
auch sehr gut nachvollziehen, was du schreibst, Jules! Auch sonst geht es mir ähnlich. Dass ich denke, ich muss doch "etwas daraus machen." Aber natürlich sind es auch die kleinen Dinge, die zählen. Gesünder essen, mehr Sport treiben, das ist doch schon was!!!
Noch denke ich mir ab und zu, wenn das alles ganz vorbei ist, die Reha und so, meine Blutwerte wieder normal sind, noch der ersten NU oder so, DANN... :wink2:
Aber vielleicht ist der Sinn dahinter ja auch, das, was man hat, mehr zu schätzen zu wissen. :think2:
Ich habe zu Therapie-Zeiten gedacht, ich gründe einen kleinen Lebenshof für Tiere. Ich ernähre mich schon lange vegan und habe mich da auch schon mal ehrenamtlich engagiert, aber irgendwie scheint mir das nicht genug. Aber das würde bei mir heißen, Scheidung, Kinder "teilen", wirklich ein komplett neues Leben.
Sorry für den langen Text, ich habe einfach mal drauflos getippt. :wink2:
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Re: Habt ihr euer Leben geändert?

Beitragvon MumHoch3 » 20.06.2020 20:50

Hallo!

Das ist ein tolles Thema :wink2:
Vor genau einem Monat habe ich die letzte Chemo bekommen und vor einer Woche wurde mir gesagt, dass ich keine Bestrahlung mehr brauche :0010:
Aber jetzt frage ich mich wie du, was bleibt? Was jetzt? Momentan bin ich noch für weitere zwei Jahre in geplanter Elternzeit und könnte noch mal zwei Jahre von den älteren Kindern dran hängen. Ob ich je wieder in meinen Beruf zurück kehre, ist ehrlich gesagt fraglich, da wir weit auf dem Land wohnen und immer lange Fahrtzeiten haben und zuhause Landwirtschaft haben, sodass es hier auch mehr als genug zu tun für mich hier gibt... bisher war es ok für mich... aber jetzt denke ich schon... 365 Tage im Jahr 24/7 arbeiten... jedes Jahr... nie ausschlafen oder mal einen ganzen Tag als Familie verbringen... Geschweige denn Urlaub... aber wie du sagst, was ist die Alternative... :roll:
ich versuche jetzt einfach die Zeit mit den Kindern bewusster zu genießen Und gelassener zu sein (leider schaffe ich es im Alltag nicht immer :cry: ) und versuche auch ein paar Kilos los zu werden, um mich selbst wohler (auch attraktive wegen dem Haarverlust) zu fühlen... aber langfristig?!? Ich hoffe ich habe noch die Eingebung, was ich ändern könnte- denn daran denke ich auch sehr häufig... es muss ja einen Grund dafür geben, dass die Chemo so gut angeschlagen hat :?
Sorry für den Text, aber es musste auch mal raus und es ist genau das Thema, was mich auch gerade beschäftigt :think2: :roll:

Viele Grüße!
Februar 2020: Dicke lymphknoten ertastet
:arrow: Es folgten CT/MRT/ Biopsie
Mitte März 2020: Diagnose klassisches Hodgkin-Lymphom :shock:
April 2020: Einstufung Stadium 2a durch PET-CT
April/ Mai 2020: 2 Zyklen ABVD
Juni 2020: negatives PET, nichts leuchtet mehr :0010:
:arrow: Entscheidung gegen Bestrahlung
(In der Hoffnung, dass die Entscheidung richtig war)
1. NU Sept 2020: Kontroll MRT: Knoten sind noch kleiner
geworden
2. NU März 2020

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Re: Habt ihr euer Leben geändert?

Beitragvon ostseewasser211 » 09.07.2020 00:22

Oh ja... Ich wollte sehr viel ändern als die Therapie vor 17 Monaten offiziell abgeschlossen war. Bin aber im gleichen Job verblieben, ernähre mich ungesund und bin kaum weiter gekommen . Geändert hat sich aber doch was: Ich habe keine Angst mehr vor Nadeln (war früher sehr schlimm), bin generell gelassener bei medizinischen Untersuchungen. Mein Chef bekommt mittlerweile brühwarm meine ehrliche Meinung wenn mir etwas nicht passt. Und der Freundeskreis wird deutlich mehr gepflegt, während die Alibi-Freunde (3 Mal im Jahr reden) gestrichen wurden.

Nachtrag: Am Tag der ersten Chemotherapie habe ich meine letzte Zigarette geraucht. Abgesehen davon dass ich vielleicht 2 oder 3 Mal im Suff dran gezogen habe bin ich fast 2 Jahre rauchfrei und finde das sehr gut
August 2018: Diagnose MH Stadium IIa
September/Oktober 2018: 2 Doppelzyklen ABVD
Dezember 2018: 20Gy Bestrahlung Kopf/Hals
März 2019: Komplette Remission

Große Nachuntersuchungen:
10.2019: Weiterhin alles ok
05.2020: Weiterhin alles ok
12.2020: Weiterhin alles ok

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Re: Habt ihr euer Leben geändert?

Beitragvon maikom » 18.08.2020 14:30

Rückblickend nach 7 Jahren habe ich auch kaum was geändert - warum auch, der Körper oder das Immunsystem hat ein Fehler gemacht. Ob es den nicht gemacht hätte, wenn ich vorher anders gelebt hätte, ist spekulativ. Es kommen auch Hochleistungssportler das Hodgkin Lymphom, die sich vermutlich sportlich stark betätigen und vermutlich auch gesund ernähren. Ich habe vor dem Hodgkin nicht geraucht, keine Drogen, kein Alkohol - kein exzessiver Lebensstil, trotzdem Krebs mit 35 Jahren.

Ich denke es ist medial plakativ, wenn man sagt, nach dem Leben lebe ich freie, genieße mehr die Zeit, lebe mehr für mich, achte mehr auf mich....irgendwann ist man wieder in seinem Alterstrott wie vorher.
Morbus Hodgkin, ED 07/2012, 2A ohne RF,
HD 16, 2 Zyklen ABVD und Bestrahlung 20 Gy

Wissenswertes über Morbus Hodgkin
http://www.hodgkinlymphom.de

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Re: Habt ihr euer Leben geändert?

Beitragvon Andreas » 22.09.2020 15:41

Nach 17 Jahren ist die Krankheit sehr weit weg. Der Alltag ist groß und ich belaste mich beruflich wie privat stark. Da ich mit 19 Jahren relativ jung erkrankte, kann ich nur schwer sagen, wie mein Leben ohne MH verlaufen wäre. Trotzdem ist eins geblieben und das bekomme ich auch immer wieder gespiegelt: Die optimistische Lebenseinstellung. Ich sehe grundsätzlich die Guten Dinge und Vorteile. Das ist nicht immer leicht zu verstehen, weil ich grundsätzlich dazu neige die Dinge von allen Seiten zu betrachten. Von ganz schlecht bis sehr gut. Um mich am Ende über ein Mittelgut auch schon freuen zu können.

Der zweite Aspekt ist, dass mich auch grundlegende Änderungen im Leben nie aus der Bahn geworfen haben und auch parallel zu bearbeitende Themen kein großes Problem darstellen. Ich habe eine Resilienz entwickelt mit der ich super gut durchs Leben komme und auch negative Dinge einfach kurz ausblende, um sie Schritt für Schritt abzuarbeiten. Selten benötige ich länger als eine Nacht, um auch schwere Themen/Entscheidungen zu verarbeiten oder zu entscheiden. Und am nächsten Tag starte ich neu. Dies sind die Momente in denen man zu sich selbst sagt: Bringt nichts zu hinterfragen warum es gerade mir so ergangen ist, mach halt das beste daraus. Und so empfinde ich fast nie Unglück. Das führe ich schon sehr stark auf das traumatische Erleben einer Krebsdiagnose zurück. Wir konnten auch nicht sagen: Ich habe jetzt keinen Bock auf Krebs, mach ich vielleicht später. Wir haben uns fokussiert da durch zu kommen und einen manchmal ungewissen Kampf zu führen mit der Hoffnung auf ein besseres Leben.

Ich habe auch vor MH einen gesunden Lebensstil verfolgt und behalte das bis heute bei. Gesundes essen, viel Sport. Nur mehr Schlaf sollte ich mir gönnen. Grundsätzlich steigert ein gesunder Lebensstil die Lebensfreude, ganz unabhängig von MH.

Von Zeit zu Zeit bin ich Gedanken sehr dankbar für die Jahre die ich bisher erleben durfte. Auch das ist eine Form von Glück. Und ich habe viele dunkle Jahre unmittelbar nach der Therapie durchlebt. Viele Ängste und wenig Hilfe. Das ist auch mein größter Rat, holt euch Hilfe. Die gibt es, wenn man den Stein ins Rollen bringt. Ich habe damit lange gezögert. Aber letztlich, ganz Optimist, hat sich auch dieses Warten gelohnt.

Mal sehen was ich in weiteren 17 Jahren zu berichten habe.
Diagnose: 02/03; Stadium IVb
Therapie: BEACOPP esk. 6x
seit 10/03 in Vollremission


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