Nur so......

Forum für alles, was in irgendeiner Weise mit Morbus Hodgkin zu tun hat. Dieses Forum soll in erster Linie aktuell Betroffenen helfen.

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Julchen

Nur so......

Beitragvon Julchen » 18.09.2003 12:51

Hallöchen,
laut meinen Ärzten bin ich zwar wieder gesund aber seelisch gehts mir gar nicht gut......
Ab 1.Okt. möchte ich wieder...nach 1 Jahr Pause...zum Arbeiten anfangen...aber ich hab echt Angst davor. Angst daß ich alles vergessen habe, Angst daß meine Kräfte nicht ausreichen......
Dann bilde ich mir irgendwelche Symptome ein...taste ständig meine Halslymphis ab und bin total fertig weil ich mir eine Vergrößerung einbilde..
Und zu guter letzt hab ich auch noch Beziehungsprobleme.....mein Partner meint ich laß mich gehen und ich nerv ihn schon langsam mit meiner Angst ( hab nächste Woche Kontrolltermin)...er sagt immer vergiß es -das ist Vergangenheit reden wir nicht mehr drüber....aber das KANN ich NICHT...ich muß andauernd an die Chemo denken, an die Übelkeit,...und bin tieftraurig
Ich weiß einfach nicht was ich tun soll...
Manchmal frag ich mich ob sich das alles wirklich gelohnt hat *SEUFZ*
Ich wollt mir das alles mal von der Seele schreiben....
Bis dann

Nicki

Nur so......

Beitragvon Nicki » 18.09.2003 16:22

Hey Julchen,

Du hörst Dich ja ganz schrecklich an! Das tut mir leid. Mir gehts etwas ähnlich, deswegen schreib ich Dir mal, vielleicht hilft Dir ja, dass andere ähnliche Erfahrungen haben.
In einem denke ich aber anders: gelohnt hat es sich auf jeden Fall! Hätte ich es nicht gemacht, könnte ich jetzt nicht in diesem Forum mit Dir kommunizieren, wäre ich am Dienstag nicht bei der Einschulung meiner Patenkinder dabei gewesen usw. usw. Diese Vorstellung finde ich viel schrecklicher.
So jetzt mal meine Erfahrungen:
1) Ich fange jetzt auch wieder nach einem Jahr an zu arbeiten. Allerdings bin ich selbständig und muss mir erstmal selber Arbeit suchen. Ich habe die gleiche Befürchtungen (gehabt) wie Du: habe ich mein altes Wissen noch und bin ich voll einsatzbereit? Seit 1.9. mache ich sowas wie das Hamburger Modell bei mir zu Hause: ich sitze täglich ca. 5h am Schreibtisch und arbeite mich wieder ein und melde mich nach und nach bei meinen Kunden zurück. 2 Sachen habe ich festgestellt: für mich ist es gut, so schrittweise anzufangen. Ich bin jetzt fitter als in der ersten Woche. Das baut sich alles wieder auf. Und mein Wissen ist noch da, ich musste es nur wieder hervorholen und entstauben. Ich bin mir sicher, das wird bei Dir auch so sein. Wirst sehen, das geht ruckzuck.
2) Seelisch bin ich auch angeschlagen und habe mich deswegen vor 3 Wochen in Therapie begeben. Das tut mir gut, da ich den Therapeuten jedesmal hemmungslos vollheulen kann. Eine der Hauptsachen, die mich wütend und traurig machen, ist, dass ich das Gefühl habe, meine Empfindungen nicht mehr äußern zu können: Sage ich was über meine Krankheitszeit, wird mir auch gesagt, dass ich nach vorne schauen soll. Beschwere ich mich mehr als einmal, dass ich so fett geworden bin, bekomme ich zu hören: das ist nebensächlich, Hauptsache ich bin gesund. Beschwere ich mich noch einmal mehr darüber, werde ich komisch angeschaut, weil ich ja überglücklich sein muss, den Krebs besiegt zu haben und wohl irgendwie negativ drauf bin. Ich empfinde das als Unverschämtheit. Jemand ohne Krebs kann hemmungslos über alles mögliche klagen: Angst um den Arbeitsplatz, 3 Haare mehr als üblich morgens in der Haarbürste, Angst keine Kinder zu bekommen, Frust mit dem Rauchen aufgehört zu haben, 3 kg zugenommen zu haben usw. usw. Das ist o.k. Für einen Krebskranken scheint das nicht zu gelten: für jemanden, der dem Tod ins Auge geschaut hat und der das überlebt hat, müssen alle anderen Alltagssorgen irgendwie nichtig geworden sein. Wenn nicht, ist man negativ. Das finde ich höchst unlogisch und tut mir weh. Mittlerweile denke ich allerdings, da ich weiss, dass meine Freunde keine gefühlsarmen Menschen sind, dass jmd., der kein Krebs gehabt hat, einfach nicht nachvollziehen kann, was das emotional bedeutet. Und schlichtweg überfordert ist, das zu tun und tatsächlich denkt, man müsste so überglücklich sein, alles überstanden zu haben, dass man 1 Jahr Krankheit und die immer noch existenten Konsequenzen wie z.B. Nachsorge vergisst. Das ist noch nicht mal böse oder gedankenlos, sondern wahrscheinlich normal.
Ich denke, ich muss wohl akzeptieren lernen, dass ich mit meiner Erfahrung zumindest in meinem Umfeld alleine bin. Und dementsprechend nur eingeschränkt Verständnis, wie ich es brauche, erwarten kann. Daher nutzt es mir auch, mich bei meinem Therapeuten auszuheulen, da ich das dort ohne Kommentar tun kann und dann auch niemanden damit überfordere und so meine Gedanken ordnen kann.
Oder ich nutze, wie Du, dieses Forum.

Vielleicht ist Dein Freund ja auch einfach nur überfordert. Er kann medizinisch ja nichts machen und hat wahrscheinlich selber Angst. Das muss ja nicht zwingend ein Beziehungsproblem sein, sondern "nur" eine neue Situation, auf die ihr Euch einstellen müsst.

Ich hoffe, mein Monolog hilft Dir (mir hats zumindest geholfen) und ich drück Dir die Daumen für nächste Woche.

Liebe Grüße,

Nicki

Anni

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Beitragvon Anni » 18.09.2003 16:38

Liebes Julchen
Nicki hat Dir da einen sehr aussagereichen und unterstuetzenden Brief geschrieben, dem ich nichts mehr beifuegen koennte.
Alles alles Gute
Anni
Nur eins noch an Nicki.
Ja ich muss immer schmunseln, wenn mich die Leute mit mitleidtriefenden Augen fragen, wie mir nun gehe und ich habe meistens nicht mal Zeit meinen Mund aufzumachen, dann jammern sie mir schon ueber ihre Gallenblase und Arthritis vor.
Ich habe auch gelernt meine Aengste , Befuerchtungen fuer mich zu behalten. Mein Umfeld einschliesslich mein Mann sind da nicht sehr aufnahmebereit.

Mit Angst vor der Nachuntersuchung lebe ich halt , da wird sich nichts verbessern, nur dass die Zeitspannen doch groeser werden, was dann wieder die Panikanfaelle reduziert.

stufer

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Beitragvon stufer » 19.09.2003 17:45

Hallo Julchen.
Nach 49 Wochen Arbeitsunfähigkeit war ich froh, endlich wieder gebraucht zu werden und habe mich auf "normalen Altag" gefreut.
Auch hatte ich sehr sehr liebe Kollegen die sich freuten, dass ich wieder im Team war.
Wie du wieder ins Berufsleben einsteigst musst Du selber rausfinden (Hamburger Modell z.B.).
Und wenn Deine Kollegen keine Monster sind werden Sie sich sicher freuen Dich wieder zu haben.
Und ich hoffe auch das Dir der Wiedereinstieg ind Berufsleben genauso hilft ein Stück "Normalität" wieder zu bekommen.
Alles, alles Gute
Stufer

dagmar

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Beitragvon dagmar » 24.09.2003 15:45

Liebe Nicki,

du sprichst mir ja soooo aus der Seele!
Schon seltsam, mal in Worte gefasst zu sehen, was mich auch beschäftigt :o)
Wie du bin ich selbständig, allerdings mit meinem Partner zusammen. Während meiner Krankheit hat er sich total hängen lassen, Kunden verloren und keine neuen Kunden gesucht. Ich stehe also auch nach einem Jahr vor einem totalen Neuanfang und muss ausser mir selbst auch noch meinen Partner motivieren.
Während der Therapie haben wir oft einen Riesenkrach gehabt, weil ich Forderungen bzgl. der Firma an ihn gestellt habe und deshalb auch große Existenzängste bekam.

Jetzt bin ich ja wieder "gesund" und es stimmt, ich habe auch das Empfinden, dass viele Leute mich gar nicht ernst nehmen, wenn ich Probleme habe, so nach dem Motto: "Hauptsache wieder gesund, alles andere ist doch zweitrangig" (unterschwellig: jetzt stell dich nicht so an). Mein Partner versucht zwar, auf mich einzugehen, aber ich habe das Gefühl, er will das Ganze möglichst schnell vergessen.
Manchmal glaube ich, es hängt ein wenig mit den eigenen Ansprüchen an sich selbst zusammen: wenn man sich selbst sehr unter Druck setzt und überhaupt zu Perfektionismus neigt, kann man sich nicht wirklich eingestehen, dass man eben noch nicht wieder "gesund" ist. Ach, das wird jetzt so psychotherapeutisch, aber ich habe auch mal gelesen, dass gerade Menschen, die dazu neigen, sich selbst zu überfordern und sich nicht abzugrenzen, eben an einer Krankheit erkranken, die die (Immun-)abwehr betrifft.

Ich versuche, mich selbst nicht zu überfordern und mich damit abzufinden, dass jemand, der nicht dasselbe durchgemacht hat wie ich, es niemlas wird nachvollziehen können.
Geht jetzt ein wenig durcheinander, aber ich weiss nicht, wie ich es besser formulieren soll...

Es ist eben doch so, dass das Leben nicht einfach weitergeht und man vieles neu bedenken muss.

Liebe Grüße
Dagmar

Edith

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Beitragvon Edith » 03.10.2003 06:09

Hallo Julchen, dem Namen nach bist Du noch sehr jung? Aber, dass Du Deine Gedanken hier so formulieren kannst, zeigt doch, dass Du Deine Krankheit gut verarbeitest - meine Tochter kann bis bis heute nach 7 Jahren leider noch nicht, aber so war so stark nach MH Stadium 4 ohne ein Jahr auszusetzen, arbeiten zu gehen ( 4 Stunden im Büro) sie hat nur 2 Kolleginnen, eine davon hat sie so empfangen: Wie sehen Sie denn aus, Sie wollen arbeiten? Aber sie hat es geschafft und es hat ihr gut getan, zu arbeiten. Sie durfte zu Hause sich nicht einmal Mittags hinlegen, von diesem Mann hat sie sich nun zum Glück auch getrennt! Es hatten einige ihrer Freundinnen auch etwas Abstand genommen, sie hat es wohl richtig eingeschätzt, dass es nicht böse gemeint war, sondern, dass sie nur mit dem Krebs nicht umgehen konnten, unsicher waren. Sie ist dann auf sie zugegangen, hat mit ihnen gesprochen, und es sind heute wieder die besten Freundinnen. Es ist auch nicht leicht, für Nichtbetroffene, damit umzugehen - und jeder Betroffene und Angehörige muss es glaube auf seine Art verarbeiten und sich die Gesprächspartner suchen, mit denen sie zurecht kommen. Ich habe Deinen Bericht erst heute gelesen, nun waren ja schon Deine ersten Arbeitstage. Es wird Dir gut tun, du wirst noch matt sein, aber es wird immer besser werden und es wird Dich stark machen - ich drücke Dir alle Daumen. Du wirst vor jeder Nachuntersuchung immer wieder nervös sein - aber es wird weniger bei jedem Mal, man wird stärker. Und denke daran, diese Gefühle, die Du hier so schön ausdrücken und Dir von der Leber schreiben konntest, haben die anderen auch. Deshalb finde ich es toll, dass es hier diesen Chaet gibt und man sich aussprechen kann.
Ich wünsche Dir alles alles Gute - heute ist ja Feiertag und Du hast schon wieder eine kleine Pause - das nächste Wochenende kommt auch immer wieder aber arbeiten gehen ist doch toll - ich war nach der Wende 2 Jahre arbeitslos, das war eine schlimme Zeit - jetzt wächst mir die Arbeit manchmal über den Kopf - ich bin Selbständig und 60 - aber Arbeiten ist toll. Alles Gute für Dich

Edith


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